Zunahme von HIV- und STI-Infektionen in der Schweiz: Testzugang verbessern und schlüsselgruppen-spezifische Gesundheitsversorgung stärken!

Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) vermeldet steigende Infektionszahlen aller meldepflichtigen sexuell übertragbaren Infektionen (STI). Angesichts dieser Entwicklung ist regelmässiges, asymptomatisches Testen bei besonders betroffenen Gruppen wichtiger denn je. Die Stärkung schlüsselgruppen-spezifischer Präventionsarbeit und Gesundheitszentren ist dafür eine zentrale Voraussetzung.

Im Jahr 2022 wurden dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) insgesamt 371 neue HIV-Infektionen gemeldet (vgl. BAG-Jahresbericht). Das sind deutlich mehr Meldungen als im Vorjahr (325 Fälle, +14% zu Vorjahr), was teilweise mit einem Rückgang der HIV-Tests und Verhaltensänderungen während der Covid-Pandemie erklärt werden dürfte. Auch bei den sexuell übertragbaren Infektionen Chlamydien (13'063, +6%), Gonorrhö (5'112, +25%) und Syphilis (1'078, +20%) steigen die Zahlen erheblich.

Angesichts dieser Entwicklung bekräftigt der Bericht des BAG die hohe Relevanz der jährlichen stattfindenden Testkampagne der Aids-Hilfe Schweiz und ihrer regionalen Fachstellen – ohne die dafür nötige Finanzierung zu gewährleisten (vgl. Parlamentsgeschäft 21.8253). Die Analyse des BAG zeigt insbesondere, dass Männer, die Sex mit Männern haben, anteilsmässig weitaus am meisten von HIV und anderen STI betroffen sind.

Für diese wie andere Bevölkerungsgruppen ist der Zugang zu präventiven Leistungen erschwert, auch wegen den hohen Kosten (vgl. Parlamentsgeschäft 23.3993). Doch nicht nur der Preis ist ein Hinderungsgrund: Gespräche über sexuelle Gesundheit sind in der ärztlichen Praxis nach wie vor stark tabuisiert. Bastian Baumann, Leiter des Checkpoints Zürich, betont die Bedeutung von community-geführten Gesundheitszentren: «Checkpoints sind entscheidend für die präventive und medizinische Versorgung. Wir bieten eine ganzheitliche Versorgung: Prävention in der Szene, preiswerte und unkomplizierte Angebot für Impfung, Testung und Beratung und eine qualitative Behandlung – immer mit den community-spezifischen Bedürfnissen im Blick.» Dieses international anerkannte Erfolgsrezept (vgl. Bericht zur LGBT-Gesundheit des Bundesrates) zeigt sich auch in der Schweiz anhand der Testzahlen. Auch andere spezifische Angebote, wie beispielsweise für Sexarbeiterinnen, tragen dazu bei. Anna Ehrsam, Leiterin LadyCheck der Aids-Hilfe beider Basel: «Wir kennen die Arbeitsrealitäten und das Umfeld der Sexarbeiterinnen. Sie werden gerade im Gesundheitswesen noch immer häufig diskriminiert. Uns können sie vertrauen. Wir beraten, testen und behandeln unkompliziert und effizient.»

Diese Angebote arbeiten mit knappsten Ressourcen und sorgen dafür, dass die Zahl der durchgeführten HIV- und STI-Tests stetig zunimmt. Bei den Teststellen der Aids-Hilfe Schweiz haben sich innerhalb eines Jahres über 11% aller Männer, die Sex mit Männern haben, mindestens einmal auf HIV testen lassen. Mit zusätzlichen finanziellen Mitteln für die Prävention könnte dieser Wert erhöht werden – und damit die Infektionszahlen und die daraus resultierenden Behandlungskosten mittelfristig reduziert werden.

Eine substanzielle Erhöhung der finanziellen, personellen und materiellen Ressourcen ist erforderlich, um die Effektivität und Reichweite der Gesundheitsangebote zu steigern und eine umfassende Versorgung aller besonders betroffenen Gruppen zu gewährleisten. Andreas Lehner, Geschäftsleiter der Aids-Hilfe Schweiz, appelliert an die politischen Akteure: «Das Ziel der Schweizer Politik, HIV-Neuinfektionen bis 2030 zu eliminieren und andere STI zu reduzieren, erfordert zusätzliche Mittel und Ressourcen von Kantonen, Gemeinden und dem Bund.» Schlüsselgruppen-spezifische Gesundheitsangebote benötigen staatliche Unterstützung. Lehner unterstreicht: «Eine effektive öffentliche Gesundheitsförderung kann nicht allein auf besonders betroffene Menschen abgewälzt werden. Impfung, Testung, Beratung und Behandlung und für Schlüsselgruppen müssen besser finanziert und zugänglicher gemacht werden.»

Forderungen der Aids-Hilfe Schweiz:

  1. Präventionsarbeit stärken: Die aufsuchende Präventionsarbeit (Community Health Work) ist ein zentraler Pfeiler der Schweizer Strategie. Sie muss ausgebaut werden, um auch im digitalen Raum wirksam zu sein und eine jüngere Personengruppe zu erreichen.
  2. Ganzheitliche Gesundheitsangebote für alle Schlüsselgruppen: Umfassende und individuell angepasste Gesundheitsdienstleistungen sind für alle Schlüsselgruppen notwendig. Die darin enthaltenen Beratungs- und Testangebote müssen kostenfrei und bedürfnisorientiert ausgestaltet sein (vgl. Testempfehlungen).
  3. Impfungen verfügbar machen: Es ist unerlässlich, dass alle Fachstellen für sexuelle Gesundheit in der Schweiz Impfungen verabreichen dürfen – zahlreiche Kantone blockieren das. Der beste Schutz bei Hepatitis A/B, HPV und Mpox ist die Impfung.
  4. Schutzmittel verfügbar machen: Kondome oder PrEP (medikamentöse HIV-Prophylaxe) müssen kostenfrei, bedarfsorientiert und unkompliziert zur Verfügung gestellt werden.