«Eine wie mich haben sie nicht erwartet!» : Aids-Hilfe Schweiz

«Eine wie mich haben sie nicht erwartet!»

Angela Lagler steht offen dazu, HIV-positiv zu sein. Bei ihren öffentlichen Auftritten stösst sie häufig auf Verblüffung – nie aber auf negative Reaktionen.

November 2018 | Andrea Six

«So was geht natürlich gar nicht», sagt Angela Lagler bestimmt. Sie betrachtet drei Fotos, die Papst Franziskus zeigen, der einem jungen Mann die Füsse küsst. Es ist dreimal dasselbe Bild. Das jeweilige Medienprodukt, in dem das Bild erscheint, titelt jedoch völlig unterschiedlich. Einmal heisst es: «Der Papst küsst einem HIV-Positiven die Füsse», ein andermal soll es sich um einen Aidskranken gehandelt haben, und bei der dritten Publikation ehrte Seine Heiligkeit angeblich die Füsse eines Kriminellen.

Angela Lagler

Die 47-jährige Mutter einer Tochter lebt im ländlichen Thurgau. Beruflich hat sich die ehemalige Vergolderin seit ihrer HIV-Diagnose vor 22 Jahren zur Sozialarbeiterin mit Hochschulabschluss weitergebildet und arbeitet nun seit über drei Jahren im Café Yucca der Zürcher Stadtmission. Darüber hinaus ist Angela Lagler als Initiantin und Leiterin verschiedener Selbsthilfegruppen aktiv. Eines ihrer Projekte, für die sie sich engagiert, ist die Swiss Youth Positive Group, die in der Schweiz HIV-positive Jugendliche ab 12 Jahren zusammenbringt.

www.stadtmission.ch
www.sypg.ch
www.positive-frauen-schweiz.ch

Angela Lagler empört sich angesichts dieser dilettantischen journalistischen Arbeit über das Gleichsetzen der Begriffe «HIV-Betroffener» und «Krimineller». «Das erinnert mich an die Anfangszeiten in den 1980er-Jahren, als gewisse Kreise danach schrien, HIV-positive Menschen in Internierungslager zu stecken», sagt die 47-Jährige. Und ebenso regt es sie auf, wenn selbst heute noch für viele Menschen eine HIV-Infektion dasselbe ist wie eine Aids-Erkrankung. «Wir sollten mit diesem Thema längst weiter sein», seufzt sie. Resigniert wirkt sie dabei jedoch nie. Sofort blitzen ihre Augen wieder auf. Völlig offen sagt sie: «Ich lebe seit 22 Jahren mit dem Virus. Als krank habe ich mich aber niemals bezeichnet.»

Unermüdliche Botschafterin

Angela Lagler sieht es als ihre Aufgabe, die Offenheit im Umgang mit HIV zu fördern. Für sie persönlich war dies seit ihrer Diagnose ein starkes Bedürfnis, wie sie erklärt. Mit ihrer extrovertierten Art habe sie nicht anders gekonnt, als ihr Umfeld in Kenntnis zu setzen: «Sonst wäre ich explodiert.» Ihr damaliger Ehemann, der sie wissentlich angesteckt hatte, kam mit dieser Offenheit hingegen nicht klar – und die Ehe zerbrach. Seither scheint Angela Lagler mit ihrer Infektion Frieden gemacht zu haben. «Dass mich mein Mann angesteckt hat, nehme ich ihm nicht mehr übel. Ich ärgere mich aber immer noch, dass Menschen noch heute ihre Infektion verheimlichen müssen.» Diese Haltung wäre in Angela Laglers Augen schon lange nicht mehr nötig. Bereits während ihrer Schwangerschaft vor zwanzig Jahren lernte sie, dass HIV-Infizierte unter stabiler Therapie nicht ansteckend sind – und somit auch sie als Mutter ihr Kind nicht infizierte. Dass vor zehn Jahren das Swiss Statement der heutigen Eidgenössischen Kommission für sexuelle Gesundheit (EKSG) diese Information endlich publik machte, begrüsst sie sehr. Bedauerlich findet sie jedoch, dass in der Schweiz – im Gegensatz zum Ausland – dieses Wissen in der Allgemeinbevölkerung bisher nicht genügend verbreitet worden ist. Angela Lagler selbst wird nicht müde, diese Botschaft zu wiederholen. Im Fernsehen oder wenn sie von Lehrkräften für zwei Lektionen an eine Schule eingeladen wird, erklärt sie unermüdlich, dass Betroffene unter Therapie nicht ansteckend sind. Wenn sie im Fernsehen offen über ihr Leben mit dem Virus spreche, bekomme sie zwar nur positive Rückmeldungen, bei den Schulklassen sei es jedoch manchmal zunächst anders – manchmal hätten die Lehrpersonen, die das Thema in der Klasse vorstellten, wohl damit gerechnet, dass eine ausgezehrte Kranke erscheinen werde. Und dann steht Angela Lagler vor der Klasse, blühend und strahlend. «Das passt dann nicht in deren überholtes Weltbild», sagt sie lachend. «Eine wie mich haben sie nicht erwartet!» Energiegeladen, wie sie ist, konzipiert sie zudem eine Kampagne, die HIV-positive Menschen zeigt, die offen zu ihrer Infektion stehen. Und ihre Mühe wird belohnt: Begeisterte Mitstreiter und Mitstreiterinnen melden sich bei ihr, und rasch sind es 24 Menschen, die bereit sind, mitzumachen. Ein Anfang, der sie beflügle, sagt Angela Lagler, denn schliesslich sei die Stigmatisierung von Infizierten noch immer vorhanden, und das völlig unnötigerweise.

Raus aus dem Teufelskreis

Nur wenige Male hat sie als Betroffene ihre Infektion nicht offenbart. Gleich nach der Diagnose etwa verpasste sie den Moment, mit ihrem damaligen Chef zu sprechen. Sie litt unter der Situation und manövrierte sich in dieser strapaziösen Phase letztlich selbst aus ihrem Job. Angela Lagler spricht von der Selbststigmatisierung, die auch heute noch viele HIV-Betroffene auszeichne und aufgrund von Ängsten und dem Stress, nicht entdeckt werden zu wollen, zu psychischen Problemen führen könne. Was mit Stigmatisierung beginnt, kann als zunehmende Ausgrenzung zu einem Teufelskreis führen.

Mit ihrem offenen Auftreten als HIV-Betroffene will Angela Lagler bewirken, dass es eines Tages in der Allgemeinbevölkerung nicht mehr relevant ist, ob jemand HIV-positiv ist oder nicht.

Mit mehr Wissen um das Swiss Statement wäre viel geholfen, ist sie überzeugt. Dann könnten auch die Betroffenen selbst offener mit ihrem HIV-Status umgehen. Eine andere Situation, in der sie ihren Infektionsstatus nicht immer sofort erwähnt, ist in ihrer Arbeit als Sozialarbeiterin mit HIV-positiven Menschen im Zürcher Café Yucca. Wenn sie Betroffenen zuhört und sie berät, bietet sie professionelle Begleitung an, die mehr sein solle als blosse Betroffenenkompetenz in einer Selbsthilfegruppe. «Die Qualität meiner Arbeit ist nicht an meinen Infektionsstatus gebunden», sagt sie stolz. Mit ihrem offenen Auftreten als HIV-Betroffene will Angela Lagler bewirken, dass es eines Tages in der Allgemeinbevölkerung nicht mehr relevant ist, ob jemand HIV-positiv ist oder nicht. Gemäss dem jetzigen Wissensstand treffe dies – unter stabiler Therapie – zwar bereits zu, aber noch bei zu vielen Menschen seien Vorurteile und Diskriminierungen präsent, findet sie. Und mit einer anmutigen Bewegung streicht sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und sagt verschmitzt: «Schliesslich bin ich unter Therapie auch eine sicherere Sexualpartnerin als jemand, der seinen Status nicht kennt.» Ein Ende der Heimlichkeiten wird auch dazu führen, dass Menschen wie Angela Lagler gar nicht erst angesteckt werden, weil ein Partner nicht den Mut hatte, zu seiner HIV-Infektion zu stehen.

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